Was sind besondere Kategorien personenbezogener Daten?
Der Gesetzgeber hat in Erwägungsgrund (ErwG) 51 der DS-GVO bestimmt, dass personenbezogene Daten, die ihrem Wesen nach hinsichtlich der Grundrechte und Grundfreiheiten besonders sensibel sind, einen besonderen Schutz verdienen, da im Zusammenhang mit ihrer Verarbeitung erhebliche Risiken für die Grundrechte und Grundfreiheiten der Betroffenen auftreten können. Diese umfassen nach Art. 9 Abs. 1 DS-GVO beispielsweise Daten aus denen politische Meinungen hervorgehen, sowie Gesundheitsdaten oder Daten zum Sexualleben bzw. der sexuellen Orientierung.
Die Verarbeitung eben solcher „sensibler“ Daten ist nach Art. 9 Abs. 1 DS-GVO grundsätzlich untersagt, wobei der Abs. 2 mögliche Ausnahmen zum grundsätzlichen Verbot der Verarbeitung enthält. Hierbei handelt es sich insbesondere um Fälle, in denen eine Verarbeitung unumgänglich ist. In allen Fällen ist die zusätzliche Rechtfertigung der Verarbeitung nach Art. 6 DS-GVO erforderlich. Andernfalls würde der besondere Schutz der Verarbeitung „sensibler“ Daten umgangen werden.
Was ist der Hintergrund der Entscheidung?
Hintergrund der Entscheidung des EuGH war, dass die Oberste Ethikkommission am 7. Februar 2018 feststellte, dass der Leiter einer im Bereich des Umweltschutzes tätigen Einrichtung litauischen Rechts, die öffentliche Mittel erhält, gegen das dortige Gesetz über den Interessenausgleich verstoßen hat, da er keine sog. „Erklärung über private Interessen“ vorgelegt habe, welche vor allem der Gewährleistung der Unparteilichkeit sowie der Korruptionsbekämpfung dient. Daraufhin erhob dieser am 6. März 2018 Klage beim zuständigen litauischen Regionalverwaltungsgericht gegen den festgestellten Verstoß, mit der Begründung, die Online-Veröffentlichung dieser Erklärung mit Angaben über den Ehegatten bzw. Lebensgefährten verletze sowohl sein eigenes Recht auf Achtung seines Privatlebens als auch das der anderen Personen, die er gegebenenfalls in seiner Erklärung angeben müsse.
Das litauische Gericht, welches sich mit der Sache befasste, führte aus, es sei zweifelhaft, ob die im Gesetz über den Interessenausgleich vorgesehene Regelung mit Art. 9 Abs. 1 DS-GVO vereinbar sei. Nach Ansicht der Richter könnten die in der Erklärung über private Interessen enthaltenen personenbezogenen Daten, Informationen über das Privatleben der erklärungspflichtigen Person, ihres Ehegatten, Lebensgefährten oder Partners oder ihrer Kinder offenlegen, so dass ihre Verbreitung geeignet sei, das Recht der betroffenen Personen auf Achtung ihres Privatlebens zu verletzen. Diese Daten könnten nämlich besonders sensible Informationen offenbaren, wie etwa die Tatsache, dass die betroffene Person in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft oder mit einer Person gleichen Geschlechts lebe.
Auch wenn das Gesetz darauf abziele, die Wahrung des Grundsatzes der Transparenz bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben zu gewährleisten, sei es, nach Auffassung des Gerichts, zur Erreichung dieses Ziels nicht erforderlich, Umstände, die den Erlass solcher Entscheidungen beeinflussen könnten, im Internet zu veröffentlichen. Stattdessen reiche die Übermittlung der personenbezogenen Daten an die im Gesetz bezeichneten Stellen aus, um die Erreichung dieses Ziels zu gewährleisten.
Vor diesem Hintergrund beschloss das Regionalverwaltungsgericht, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH die Frage, ob auch eine indirekte Offenbarung sog. „sensibler“ Daten, von den Voraussetzungen zur Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten, welche in Art. 9 DS-GVO normiert sind, erfasst ist, zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Entscheidungsgründe
Folglich hatte der EuGH zu entscheiden, ob Daten, aus denen mittels gedanklicher Kombination oder Ableitung, beispielsweise auf die sexuelle Orientierung einer natürlichen Person geschlossen werden kann, unter die besonderen Kategorien personenbezogener Daten im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der DS-GVO fallen.
In Anbetracht dessen verwies der EuGH, darauf, dass nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift nicht nur deren Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen seien, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden.
Auslegung des Art. 9 Abs. 1 DS-GVO nach dem Wortlaut
Art. 9 Abs. 1 der DS-GVO bestimmt, dass u. a. die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit „hervorgehen“, sowie die Verarbeitung von Gesundheitsdaten oder Daten „zum“ Sexualleben oder zur sexuellen Orientierung einer natürlichen Person untersagt ist.
Darauf bezugnehmend, führte der Generalanwalt des EuGH in seinen Schlussanträgen aus, die Verwendung des Verbs „hervorgehen“ spreche dafür, dass auch eine Verarbeitung erfasst sei, die sich nicht nur ihrem Wesen nach auf „sensible“ Daten bezieht, sondern auch auf Daten, aus denen sich mittels eines Denkvorgangs der Ableitung oder des Abgleichs indirekt sensible Informationen ergeben, wenngleich die Präposition „zu“ bzw. die Verwendung eines Kompositums zum Ausdruck bringe, dass eine direktere Verbindung zwischen der Verarbeitung und den betreffenden Daten, bei denen auf ihr originäres Wesen abzustellen ist, bestehen müsse.
Teleologische Auslegung des Art. 9 Abs. 1 DS-GVO nach dem Sinn und Zweck (ratio legis)
Für eine weite Auslegung der Begriffe „besondere Kategorien personenbezogener Daten“ und „sensible Daten“ spreche auch das Ziel der DS-GVO, welches darin bestehe, ein hohes Niveau des Schutzes der Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen – insbesondere ihres Privatlebens – bei der Verarbeitung sie betreffender personenbezogener Daten zu gewährleisten.
Eine gegenteilige Auslegung liefe darüber hinaus dem Zweck von Art. 9 Abs. 1 der DS-GVO zuwider, der darin bestehe, einen erhöhten Schutz vor Datenverarbeitungen zu garantieren, der, wie sich aus dem 51. ErwG der DS-GVO ergebe, aufgrund der besonderen Sensibilität der betreffenden Daten einen besonders schweren Eingriff in die durch die Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta) garantierten Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten darstellen können.
Art. 9 DS-GVO erfasst auch die indirekte Offenbarung besonderer Kategorien personenbezogener Daten
Demnach könne nach Auffassung des EuGH diese Bestimmung nicht dahin ausgelegt werden, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten, die indirekt sensible Informationen über eine natürliche Person offenbaren können, von der in Art. 9 DS-GVO vorgesehenen verstärkten Schutzregelung ausgenommen sein, da andernfalls die praktische Wirksamkeit dieser Regelung und der von ihr bezweckte Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen beeinträchtigt werden würde.
Demzufolge sei der Art. 9 Abs. 1 der DS-GVO dahingehend auszulegen, dass bereits die Verarbeitung personenbezogener Daten, beispielsweise wie im vorliegenden Fall in Form der Veröffentlichung auf der Website der Behörde, die geeignet sind, z.B. die sexuelle Orientierung einer natürlichen Person indirekt zu offenbaren, eine Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten im Sinne des Art. 9 Abs. 1 DS-GVO darstellt.
Fazit
Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen die Entscheidung des EuGH auf die datenschutzrechtliche Praxis haben wird. Ob nun tatsächlich jeder mögliche indirekte Bezug auf „sensible“ Daten dazu führen wird, dass die hohen Anforderungen an die Verarbeitung nach Art. 9 DS-GVO eingehalten werden müssen, wird sich zeigen. Angesichts der Tatsache, dass sich aus unzähligen Daten zumindest indirekt Rückschlüsse auf „sensible“ Daten ziehen lassen, könnte die Entscheidung in der Praxis weitreichende Folgen haben. Zunächst bleibt Verantwortlichen jedoch nur die Möglichkeit von der Entscheidung Kenntnis zu nehmen, diese, soweit möglich, bei der Verarbeitung personenbezogener Daten zu berücksichtigen und erste Stellungnahmen und Orientierungshilfen der Aufsichtsbehörden abzuwarten.