VG Hannover: Selbstbedienungstankstellen-Betreiberin darf Videoaufzeichnungen nur 72 Stunden lang speichern
Streitgegenstand
Die Klägerin hatte als Betreiberin einer Selbstbedienungstankstelle im Außenbereich und im Bereich der Tankstelle Kameras installiert. Nachdem die zuständige Datenschutzbehörde darauf aufmerksam gemacht wurde, dass die Kameraüberwachung ohne jeden Hinweis durchgeführt wurde, und ein Auskunftsersuchen an die Klägerin stellte, teilte die Klägerin verschiedene Zwecke der Videoüberwachung und die Speicherung der Videoaufzeichnungen für etwa sechs bis acht Wochen mit. Infolge weiterer Schriftwechsel ordnete die Datenschutzbehörde schließlich eine Begrenzung der Speicherdauer auf 72 Stunden an, wogegen die Klägerin eine Klage einreichte.
Argumente der Klägerin
Die Klägerin führte vor der Datenschutzbehörde und vor Gericht u.a. folgende Zwecke an, die sie zur längerfristigen Speicherung der Videoaufzeichnungen berechtigen würden:
- Aufklärung von Vandalismus- und Sachbeschädigungsfällen
- Durchsetzung des Kaufpreisanspruchs und Verteidigung gegen zivilrechtliche Ansprüche eines etwaigen Tankbetrügers an einer Selbstbedienungs-Tankstelle
- Verteidigung gegen zivilrechtliche Ansprüche nach §§ 812 ff. BGB
- Verteidigung von strafrechtlichen Vorwürfen
Darüber hinaus führte die Klägerin verschiedene datenschutzrechtliche Orientierungshilfen und Guidelines an, die sie zu einer längeren Aufbewahrungsfrist berechtigen würden:
- Leitlinie 3/2019 zur Verarbeitung personenbezogener Daten, Version 2.0, EDPB
- Der 29. Tätigkeitsbericht Datenschutz des Datenschutzbeauftragten für Datenschutz und Informationssicherheit des Saarlandes
- Orientierungshilfe zur Videoüberwachung durch bayerische öffentliche Stellen des Bayrischen Landesbeauftragten für Datenschutz
- Urteil des niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. September 2014, 11 LC 114/13
Entscheidung des Gerichts
Zunächst stellte das Gericht klar, dass die von der Klägerin durchgeführte Videoüberwachung und die Speicherung der Daten in den Anwendungsbereich der DS-GVO fallen und daher ihre Anforderungen gelten (Urteil vom 13.03.2023, AZ,: 10 A 1443/19).
Videoüberwachung zur Aufklärung von Vandalismus- und Sachbeschädigungsfälle rechtmäßig
Bevor es zu einem Einsatz von Videoüberwachung kommt, muss gem. Art. 5 Abs. 1 lit. b) DS-GVO der Zweck der Verarbeitung genau festgelegt werden und eine Rechtsgrundlage für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten bestehen (zur Rechtmäßigkeit siehe auch: audatis Artikel vom 3.3.2023). Das Gericht nahm ein berechtigtes Interesse i.S.v. Artikel 6 Abs. 1 lit. f) DS-GVO - wenn auch nur für einen der verfolgten Zwecke - als Rechtsgrundlage für die Durchführung der Videoüberwachung an. Eine der wesentlichen Voraussetzungen für das Bestehen eines berechtigten Interesses ist, dass der Verantwortliche sein berechtigtes Interesse substantiiert vorträgt und belegt. Die Substantiierung ist nur dann nicht erforderlich, wenn eine Situation vorliegt, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung typischerweise gefährlich und überwachungsbedürftig ist. Das Gericht erkannte an, dass es sich bei der von der Klägerin betriebenen Selbstbedienungstankstelle nach allgemeiner Lebenserfahrung um eine potenziell risikoreiche Einrichtung handelt, die typischerweise Opfer von Vandalismus und Sachbeschädigung werden kann, so dass die Klägerin ihr berechtigtes Interesse daran nicht nachweisen musste und die Videoüberwachung an sich rechtmäßig war.
Kein berechtigtes Interesse zu anderen Zwecken
Das Gericht konnte bei den von der Klägerin genannten anderen Zwecken, zu denen die Videoüberwachung durchgeführte werde, kein berechtigtes Interesse gem. Art. 6 Abs. 1 lit. f) DS-GVO erkennen.
Zulässige Speicherdauer bei Videoaufzeichnungen zu Vandalismus und Sachbeschädigungsfällen
Hinsichtlich der Speicherdauer entschied das Gericht, dass die Videoaufzeichnungen in der Regel nicht länger als 72 Stunden aufbewahrt werden dürfen. Dies gehe aus den Grundsätzen der Datenminimierung und der Speicherbegrenzung von Art. 5 Abs. 1 lit. c) und e) DS-GVO hervor, wonach personenbezogene Daten nicht länger gespeichert werden dürfen, als es für die Zwecke, für die sie verarbeitet wurden, erforderlich ist. Gleichzeitig bestimmt Art. 17 Abs. 1 lit. a) DS-GVO, dass personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden müssen, wenn sie für die Zwecke, für die sie erhoben wurden, nicht mehr notwendig sind. Eine pauschale Festlegung, wie lange Daten zur Erfüllung eines Zwecks benötigt werden, ist nicht möglich und muss im Einzelfall geprüft werden.
Nach Auffassung des Gerichts, sei im vorliegenden Fall, während des normalen Geschäftsbetriebs eine Speicherdauer von 72 Stunden ausreichend, um Vandalismus- oder Beschädigungsfälle festzustellen und das Videomaterial zu sichten. Sofern sich aus dem Videomaterial verdächtige Tatvorgänge erheben würden, könne die Klägerin jedoch zu einer längeren Speicherdauer gem. Art. 18 Abs. 3 lit. e) DS-GVO berechtigt werden.
Keine Berechtigung zu einer längeren Speicherdauer durch Heranziehung von datenschutzrechtlichen Orientierungshilfen und Guidelines
Darüber hinaus konnte sich durch die von der Klägerin herangezogenen sonstigen Quellen, Guidelines, Orientierungshilfen und Auskünften keine Berechtigung zu einer längeren Speicherdauer begründen. Entgegen der Ansicht der Klägerin, geht dies zunächst aus den Leitlinien des Europäischen Datenschutzausschusses hervor. In diesen heißt es, „je länger die Speicherfrist ist, desto höher ist der Argumentationsaufwand in Bezug auf die Rechtmäßigkeit des Zwecks und der Erforderlichkeit“. Dies gilt vor allem dann, wenn die Videoaufzeichnungen länger als 72 Stunden gespeichert werden sollen. Nach Ansicht des Gerichts konnte die Klägerin keine entsprechenden Argumente für eine längere Speicherfrist vorbringen.
Die von der Klägerin vorgelegten Orientierungshilfen verschiedener Datenschutzbehörden und Institutionen seien ebenfalls nicht auf den vorliegenden Fall anwendbar, da keine Vergleichbarkeit mit dem vorliegenden Fall gegeben sei. Auch die Entscheidungsgründe des niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts seien auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Die Entscheidung hierzu beruht auf einer Einzelfallentscheidung, in der die Klägerin nachvollziehbare Gründe für eine längere Speicherdauer vortragen konnte, was der Betreiberin der Selbstbedienungstankstelle nicht gelungen sei. Aus diesen Gründen entschied das Gericht, dass die Klägerin die Videoaufzeichnungen in der Regel nur 72 Stunden lang speichern darf.
Praxistipp
Ebenso wie bei der Rechtmäßigkeit der verschiedenen Formen der Videoüberwachung lässt sich auch bei der Speicherdauer von Videoaufzeichnungen keine allgemeine Antwort geben. Die vorliegende Entscheidung des VG und Entscheidungen anderer Instanzen zu ähnlichen Fällen bestätigen, dass auch die zulässige Speicherdauer vom Einzelfall abhängt.
Wir empfehlen, sich an einen Datenschutzbeauftragen zu wenden, wenn es Unsicherheiten in Bezug auf Speicherdauer von Videoüberwachungen gibt.