Was ist vorgefallen?
Ein Arbeitnehmer hatte sich in einer privaten Chatgruppe, bestehend aus sieben Mitgliedern, auf eine äußerst beleidigende, rassistische, sexistische und gewaltverherrlichende Art und Weise über Vorgesetzte und andere Kollegen geäußert. Das Unternehmen erfuhr zufällig von diesen Äußerungen und kündigte den Arbeitnehmer fristlos. Der Arbeitnehmer reichte daraufhin Klage ein und berief sich auf eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung innerhalb der Chatgruppe, da diese aus langjährigen Freunden bestand und die Äußerungen nur im privaten Rahmen erfolgten.
Wie haben die Vorinstanzen entschieden?
In den Vorinstanzen entschieden das Arbeitsgericht Hannover im Urteil vom 24.02.2022 – 10 Ca 147/21 und das Landesarbeitsgericht Niedersachsen im Urteil vom 19.12.2022 - 15 Sa 284/22, zu Gunsten des Arbeitnehmers. Laut dem Arbeitsgericht würden die Äußerungen des Arbeitnehmers in der Chat-Gruppe „an sich“ eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Die Äußerungen des Klägers seien dennoch in einem vertraulichen Chat gefallen und der Kläger durfte darauf vertrauen, dass sie vertraulich bleiben würden, wodurch sich die Kündigung nicht rechtfertigen ließe. Das Unternehmen legte daraufhin Revision beim Bundesarbeitsgericht ein.
Wie hat das Bundesarbeitsgerichts entschieden?
Das Bundesarbeitsgericht hob im Urteil vom 24. August 2023 – 2 AZR 17/23 das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf und verwies die Sache zurück. Es entschied, dass eine Vertraulichkeitserwartung nur dann berechtigt sei, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre von einer vertraulichen Kommunikation in Anspruch nehmen können. Das sei abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und der personellen Zusammensetzung von der Chatgruppe. Wenn die Nachrichten beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige enthalten, müsse der Arbeitnehmer besonders darlegen, warum er erwarten könne, dass deren Inhalt von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben werden durfte. Das Landesarbeitsgericht muss dem Arbeitnehmer daher jetzt Gelegenheit für diese Darlegung geben.
Schützt die Meinungsfreiheit gem. Art. 5 GG Beleidigungen?
Im Laufe des Verfahrens wurde auch die Frage aufgegriffen, inwieweit sich der Arbeitnehmer auf die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Grundgesetz berufen kann. Die Meinungsfreiheit schützt die freie Äußerung von Gedanken und Ansichten ohne Zensur oder Sanktionen. Dieses Recht unterliegt jedoch rechtlichen und ethischen Grenzen, die durch das Gesetz und die Würde anderer Menschen festgelegt sind. Beleidigungen, so wie sie der Arbeitnehmer geäußert hat, sind keine legitimen Meinungsäußerungen, sondern Eingriffe in die Ehre einer Person, die ihr einen Schaden zufügen können. Beleidigungen verletzten daher das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person. Sie fallen somit nicht unter die Meinungsfreiheit, sondern können zivil- oder strafrechtlich geahndet werden. Auch das Arbeitsgericht Hannover entschied im Urteil vom 24.02.2022 – 10 Ca 147/21, dass sich der Arbeitnehmer nicht auf die Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Grundgesetz berufen kann.
Datenschutzrechtliche Relevanz der Rechtsprechung
Im Hinblick auf die datenschutzrechtliche Relevanz der Rechtsprechung stellt sich jetzt die Frage, inwieweit private Chats als Grundlage für eine Kündigung herangezogen werden können, je nachdem, wie man in den Besitz der Chats gelangt ist. Das Verwenden der Chats als Beweismittel wäre gem. Art. 6 Abs. 1 lit. f) DS-GVO rechtmäßig, wenn der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse an den Chats gehabt hätte und nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten des Arbeitnehmers überwiegen. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit i.S.v. Art. 6 Abs. 1 lit. f) DS-GVO kann zwischen zwei Szenarien unterschieden werden.
Szenario 1: Chats werden zufällig dem Arbeitgeber vorgetragen.
Wenn der Arbeitgeber zufällig an die Chats gelangt, ohne selbst aktiv zu werden, und er in denen auf Äußerungen des Arbeitnehmers stößt, die eine fristlose Kündigung rechtfertigen, ist er zur Verarbeitung gem. Art. 6 Abs. 1 lit. f) DS-GVO berechtigt. Sein berechtigtes Interesse auf die rechtmäßige Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitnehmer überwiegt in diesem Szenario. Begründen lässt sich das z. B. durch:
- eine grobe Verletzung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht gem. § 241 Abs. 2 BGB, die das Vertrauensverhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer stört.
- ein Imageschaden des Arbeitgebers.
- ein negatives Betriebsklima.
- ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung gem. § 626 BGB i.V.m. §§ 192, 185 BGB.
Szenario 2: Arbeitgeber sucht eigenständig nach Chats
Wenn der Arbeitgeber jedoch eigenständig nach Beweisen sucht und er dadurch auf die Äußerungen des Arbeitnehmers stößt, die eine fristlose Kündigung rechtfertigen, ist er dennoch nicht zur Verarbeitung gem. Art. 6 Abs. 1 lit. f) DS-GVO berechtigt. Das liegt daran, dass eine eigenständige und aktive Beweissuche durch den Arbeitgeber ohne konkreten Anlass oder Verdacht i.d.R. unverhältnismäßig und nicht erforderlich ist. In diesem Fall überwiegen die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer, die die Vertraulichkeit ihrer Chats wahren möchten.
Handlungsempfehlung
Nach dieser Rechtsprechung muss nun ein Bewusstsein dafür vorhanden sein, dass private Chats potenziell als Beweismittel vor Gericht verwendet werden können. Daher sollten Arbeitnehmer vorsichtig sein, was sie über Kommunikationsdienste verbreiten, und die Weitergabe sensibler oder anstößiger Informationen vermeiden. Die Verwendung der Chats als Beweismittel muss jedoch immer noch verhältnismäßig sein.