Wer ist betroffen?
Das BFSG gilt für App-Anbieter, Webseitenbetreiber und Unternehmen, die digitale Produkte oder Dienstleistungen an Verbraucher vertreiben. Ausgenommen sind lediglich Kleinstunternehmen, die weniger als zehn Mitarbeitende beschäftigen oder einen Jahresumsatz von maximal zwei Millionen Euro erzielen – allerdings nur, wenn sie Dienstleistungen anbieten. Kleinstunternehmen, die barrierefreiheitsrelevante Produkte in den Verkehr bringen, müssen dennoch die Anforderungen erfüllen.
Darüber hinaus gibt es eine Ausnahme, wenn die Anpassung eines Produkts oder einer Dienstleistung grundlegende Veränderungen erfordert oder eine unverhältnismäßige wirtschaftliche Belastung für das Unternehmen darstellt. Dies muss jedoch intern dokumentiert und der Marktüberwachungsbehörde gemeldet werden.
Welche Inhalte müssen barrierefrei sein?
Barrierefreiheit muss in allen Bereichen gewährleistet sein, die mit dem Abschluss eines Verbrauchervertrags zusammenhängen. Dazu gehören unter anderem die folgenden Dienstleistungen:
- Telefondienste
- E-Books
- Messenger-Dienste
- auf Mobilgeräten angebotene Dienstleistungen (inklusive Apps) im überregionalen Personenverkehr
- Bankdienstleistungen
- elektronischer Geschäftsverkehr
- Personenbeförderungsdienste (für Stadt-, Vorort- und Regionalverkehrsdienste nur interaktive Selbstbedienungsterminals)
Auch zahlreiche Produkte fallen unter die Regelungen, darunter:
- Computer, Notebooks, Tablets, Smartphones, Mobiltelefone
- Geldautomaten, Fahrausweis- und Check-in-Automaten
- Fernsehgeräte mit Internetzugang
- E-Book-Lesegeräte
- Router
Nicht betroffen sind:
- Inhalte von Dritten, die nicht vom Unternehmen finanziert oder kontrolliert werden
- Archivierte Inhalte
- B2B-Angebote
Ob Kundenbewertungen, Newsletter und Kontaktformulare ebenfalls unter die Verpflichtung fallen, ist aktuell noch umstritten.
Was bedeutet Barrierefreiheit konkret?
Ein Produkt oder eine Dienstleistung gilt als barrierefrei, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar ist. Für Online-Shops bedeutet dies unter anderem, dass sie:
- wahrnehmbar
- bedienbar
- verständlich
- robust
sein müssen.
Kontrast
Ein häufiges Barriereproblem auf Websites ist ein unzureichender Kontrast zwischen Text und Hintergrund. Ist dieser zu schwach, kann es für sehbeeinträchtigte Personen schwierig oder sogar unmöglich werden, die Inhalte zu lesen. Das BFSG verpflichtet Unternehmen daher dazu, ihre digitalen Angebote mit ausreichendem Kontrast zu gestalten, um eine gute Lesbarkeit für alle Nutzer sicherzustellen.
Tastaturbedienung
Zudem navigieren blinde Personen und einige mobilitätseingeschränkte Personen häufig mithilfe der Tab-Taste durch eine Website. Damit dies problemlos funktioniert, muss die Seite so programmiert sein, dass alle interaktiven Elemente per Tastatur erreichbar sind. Das BFSG schreibt vor, dass digitale Produkte und Dienstleistungen vollständig mit assistiven Technologien kompatibel sein müssen, sodass eine barrierefreie Bedienung gewährleistet ist.
Sprachsteuerung
Auf dem Smartphone greifen blinde Personen oft auf Sprachsteuerung zurück, während sie am Computer sogenannte Screenreader verwenden. Diese Programme lesen die Inhalte des Bildschirms vor und ermöglichen so den barrierefreien Zugang zu digitalen Angeboten. Das BFSG verpflichtet Unternehmen dazu, ihre Webseiten und Apps so zu gestalten, dass sie mit diesen Hilfsmitteln kompatibel sind. Dazu gehören beispielsweise die Bereitstellung von Alternativtexten für Bilder, eine logische Strukturierung der Inhalte sowie eine vollständig tastaturbasierte Bedienbarkeit.
Probleme mit Overlay-Tools
Viele Unternehmen versuchen, ihre bestehenden Webseiten mit Overlay-Tools nachträglich barrierefrei zu gestalten. Diese Tools legen sich als zusätzliche Software-Schicht über eine Website und bieten Funktionen wie Kontrasteinstellungen oder Schriftvergrößerung. Doch solche Lösungen sind oft problematisch, da sie die Barrierefreiheit nicht nachhaltig verbessern und sogar zu neuen Hürden führen können:
- Eingeschränkte Kompatibilität: Overlay-Tools können mit assistiven Technologien wie Screenreadern oder Tastatursteuerungen kollidieren, was die Nutzung für Menschen mit Behinderungen erschwert.
- Fehlende Tiefenintegration: Da sie nicht in den Quellcode der Website eingreifen, beheben sie grundlegende Barrierefreiheitsprobleme nicht, sondern überlagern sie nur oberflächlich.
- Beeinträchtigung bestehender Hilfsmittel: In einigen Fällen können Overlay-Tools sogar die Funktionalität bereits vorhandener Hilfstechnologien einschränken oder unerwartete Fehler verursachen.
- Verschlechterung der Benutzererfahrung: Statt den Zugang zu verbessern, kann es passieren, dass Nutzer aufgrund technischer Probleme ganz von der Nutzung ausgeschlossen werden.
Nur eine tiefgreifende, im Code verankerte Barrierefreiheit stellt sicher, dass alle Nutzer uneingeschränkten Zugang zu digitalen Angeboten haben.
Spezifische Anforderungen nach dem BFSGV
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz-Verordnung (BFSGV) konkretisiert die Anforderungen des BFSG und legt fest, wie digitale Angebote gestaltet sein müssen, um als barrierefrei zu gelten. Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre digitalen Produkte und Dienstleistungen:
- über mehr als einen sensorischen Kanal bereitgestellt werden
- für Verbraucher auffindbar sind
- in einer für Menschen mit Behinderungen verständlichen und wahrnehmbaren Weise dargestellt werden
- in gut lesbarer Schriftart, mit angemessenem Kontrast und ausreichenden Abständen aufbereitet sind
- alternative Darstellungen bieten, wenn Elemente nicht textlicher Natur sind
Dies betrifft insbesondere Identifizierungs-, Authentifizierungs-, Sicherheits- und Zahlungsfunktionen, die robust und barrierefrei gestaltet sein müssen.
Inhalte, die als zeitbasierte Medien gelten (z. B. aufgezeichnete Audio- oder Videodateien), müssen nicht barrierefrei gestaltet werden. Gleiches gilt für Inhalte, die nach dem 28. Juni 2025 nicht mehr überarbeitet oder aktualisiert werden. Zum Beispiel: Wenn eine Website vor dem 28. Juni 2025 ein Video zur Online-Terminbuchung bereitgestellt hat, muss dieses Material nicht barrierefrei sein oder nachträglich überarbeitet werden, um die Barrierefreiheit zu gewährleisten. Wird dieses Video hingegen zu einem späteren Zeitpunkt wegen eines anderen Grundes überarbeitet, so ist zeitgleich auch eine Überarbeitung aus BFSG-Sicht notwendig.
Orientierungshilfen
Da das BFSG und die BFSGV viele unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten, können sich Unternehmen an folgenden Normen orientieren:
- Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1
- Norm EN 301 549
- Deutsche Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV)
Informationspflichten und Sanktionen
Unternehmen müssen in ihren AGB oder an anderer deutlich wahrnehmbarer Stelle darüber informieren, wie sie die Barrierefreiheitsanforderungen erfüllen. Diese Informationen müssen ebenfalls barrierefrei bereitgestellt werden.
Sie müssen zudem nach Anlage 3 des BFSG bestimmte Informationen erstellen und diese der Allgemeinheit in barrierefreier Form zugänglich machen, zum Beispiel in ihren AGB:
- eine allgemeine Beschreibung der Dienstleistung in einem barrierefreien Format
- Beschreibungen und Erläuterungen, die zum Verständnis der Durchführung der Dienstleistung erforderlich sind,
- eine Beschreibung, wie die Dienstleistung die Anforderungen der Verordnung erfüllt,
- die Angabe der zuständigen Marktüberwachungsbehörde.
Entspricht die Dienstleistung nicht den Anforderungen, treffen den Dienstleistungserbringenden Korrektur- und Informationspflichten.
Verstöße gegen das BFSG können mit Bußgeldern geahndet werden:
- Bis zu 10.000 EUR für einfache Verstöße
- Bis zu 100.000 EUR in schweren Fällen
Zusätzlich kann die Marktüberwachungsbehörde bei Verdachtsfällen prüfen, ob ein Produkt oder eine Dienstleistung den Anforderungen entspricht. Bei festgestellten Mängeln wird zunächst eine Frist zur Nachbesserung gesetzt. Erfolgt keine Anpassung, kann die Bereitstellung auf dem deutschen Markt untersagt werden.
Außerdem können Verstöße als Wettbewerbsverstöße nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) gewertet werden, wodurch Mitbewerber Unterlassungsansprüche geltend machen und Abmahnungen aussprechen können.
Handlungsempfehlung
Das BFSG schafft deutliche Regelungen für mehr digitale Barrierefreiheit. Unternehmen sollten sich frühzeitig mit den Anforderungen auseinandersetzen und folgende Maßnahmen umsetzen:
- Bestehende digitale Angebote analysieren: Identifizieren Sie potenzielle Barrieren und prüfen Sie die Barrierefreiheit Ihrer Websites und Apps.
- Anpassungen planen und umsetzen: Entwickeln Sie eine Strategie für die barrierefreie Gestaltung und setzen Sie notwendige technische Änderungen um.
- Barrierefreiheit testen: Nutzen Sie automatische Prüfungen und holen Sie Feedback von Menschen mit Behinderungen ein.
Bei der automatisierten Prüfung Ihrer Website sind wir Ihnen sehr gern behilflich. Schreiben Sie uns dazu einfach eine Nachricht.
- Mitarbeiter schulen: Sensibilisieren Sie Ihr Team für barrierefreie Gestaltung, um eine langfristige Einhaltung sicherzustellen.
Eine frühzeitige und durchdachte Umsetzung führt nicht nur zur Einhaltung gesetzlicher Vorgaben, sondern verbessert auch die Nutzerfreundlichkeit und erschließt neue Kundengruppen.