Worum geht es im Urteil?
(DH) Im Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 29.06.2023 - (BAG, Az.: 2 AZR 296/22) geht es um einen Mitarbeiter einer Gießerei, der vor Arbeitsbeginn das Werkgelände betreten und anschließend direkt wieder verlassen hat. Der Arbeitgeber prüfte aufgrund eines anonymen Hinweises die Überwachungskamera, welche am Werkstor angebracht war und den Verstoß belegte und sprach daraufhin die Kündigung aus.
Der Mitarbeiter klagte gegen die Kündigung und bekam in den ersten beiden Instanzen Recht, heißt die Kündigung wurde wegen fehlender Beweise als nichtig angesehen. Die Videoaufzeichnungen könnten für die Beweisführung nicht verwendet werden, da die Aufzeichnung über die Speicherdauer von 96 Stunden hinausging und nach der abgeschlossenen Betriebsvereinbarung nicht zur Auswertung von personenbezogenen Daten verwendet werden durfte.
Wie darf Videoüberwachung im Allgemeinen erfolgen?
Gem. Art. 4 Abs. 1 DS-GVO stellt eine Videoüberwachung grundsätzlich eine Verarbeitung personenbezogener Daten dar und unterliegt damit dem Schutzbereich der DS-GVO. Ob die Videoüberwachung auch zulässig ist, richtet sich meist nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DS-GVO. Dieser Artikel stellt einen gesetzlichen Erlaubnistatbestand dar. Hier erfolgt eine dreistufige Zulässigkeitsprüfung wie folgt:
- Das Vorliegen eines berechtigten Interesses
- Erforderlichkeit der Überwachung
- Individuelle Interessenabwägung
Nach Art. 13, 14 DS-GVO muss auch die Informationspflicht eingehalten werden, z.B. durch Beschilderung im Eingangsbereich. Diese sollte umfassen:
- Umstand der Beobachtung – Piktogramm, Kamerasymbol, mit oder ohne Ton.
- Identität des für die Videoüberwachung Verantwortlichen – Name einschl. Kontaktdaten (Art. 13 Abs. 1 lit. a DS-GVO).
- Kontaktdaten des betrieblichen Datenschutzbeauftragten – soweit benannt, dann aber zwingend (Art. 13 Abs. 1 lit. b DS-GVO).
- Verarbeitungszwecke und Rechtsgrundlage in Schlagworten (Art. 13 Abs. 1 lit. c DS-GVO).
- Angabe des berechtigten Interesses – soweit die Verarbeitung auf Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DS-GVO beruht (Art. 13 Abs. 1 lit. d DS-GVO).
- Dauer der Speicherung (Art. 13 Abs. 2 lit. a DSGVO).
- Hinweis auf Zugang zu den weiteren Pflichtinformationen gem. Art. 13 Abs. 1 und 2 DS-GVO (wie Auskunftsrecht, Beschwerderecht, ggf. Empfänger der Daten).
Wie lange dürfen Videoaufzeichnungen generell gespeichert werden?
Generell haben Betroffene das Recht auf Löschung ihrer personenbezogenen Daten, wenn sie zur Erreichung der Zwecke für die sie erhoben wurden, nicht mehr notwendig sind (Art. 17 Abs. 1 lit. a DS-GVO) oder schutzwürdige Interessen der Betroffenen einer weiteren Speicherung im Wege stehen. Eine gesetzliche Regelung zur Speicherungsdauer findet sich auch in § 6b Abs. 5 BDSG. Dieser sagt:
“ Die Daten sind unverzüglich zu löschen, wenn sie zur Erreichung des Zwecks nicht mehr erforderlich sind oder schutzwürdige Interessen der Betroffenen einer weiteren Speicherung entgegenstehen.“
Beide Rechtsnormen nennen keine eindeutige Zeitspanne, welche eingehalten werden muss, vielmehr lässt sich daraus die Frage nach dem Zweck herauslesen.
Aus einem Kurzpapier der Datenschutzkonferenz geht unter Berücksichtigung von Art. 5 Abs. 1 lit. c, e DS-GVO eine empfohlene Speicherungsdauer von 48 Stunden hervor. Diese Regelung und die strenge Auffassung der Aufsichtsbehörden, dass Videoaufzeichnungen generell nach 72 Stunden gelöscht werden müssen, vertritt das BAG nicht. Im Urteil 29.06.2023 - (BAG, Az.: 2 AZR 296/22) heißt es vielmehr: „Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Datenerhebung wie hier offen erfolgt und vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers in Rede steht. In einem solchen Fall ist es grundsätzlich irrelevant, wie lange der Arbeitgeber mit der erstmaligen Einsichtnahme in das Bildmaterial zugewartet und es bis dahin vorgehalten hat.“ Auch das Niedersächsische OVG war im Urteil vom 29.09.2014 – (11 LC 114/13) der Meinung, dass in besonderen Fällen, (hier: längere arbeitsfreie Zeiträume) eine Speicherdauer von bis zu 10 Tagen angemessen, um zu gewährleisten, dass die von der Videoüberwachung aufgezeichneten Vorkommnisse auch untersucht werden können.
Wie entschied das Gericht im konkreten Fall?
Das Gericht gab hier letztinstanzlich der Beklagten Gießerei Recht und urteilte:
„Dabei spielt es keine Rolle, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprach. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, wäre eine Verarbeitung der betreffenden personenbezogenen Daten des Klägers durch die Gerichte für Arbeitssachen nach der DSGVO nicht ausgeschlossen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Datenerhebung wie hier offen erfolgt und vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers in Rede steht.“
Fazit
Ein Verwertungsverbot von Videomaterial bei einem Verstoß gegen die DS-GVO oder BDSG ergibt sich aus aktueller Rechtsprechung nicht. Die oben genannten Urteile legen die Frage nach der Speicherdauer von Videomaterial und dessen Verwertung nach seinem Zweck aus. Eine Löschung des Videomaterials nach einer Dauer von 48 Stunden wie von der Datenschutzkonferenz vorgeschlagen oder 72 Stunden nach Auffassung der Aufsichtsbehörden ist lediglich eine Handlungsempfehlung, wie mit Überwachungsmaterial im gängigen Geschäftsverkehr umgegangen werden soll. Das BAG ließ in seinem Urteil vom 29. Juni 2023 – (2 AZR 296/22) jedoch offen ob aus Gründen der Generalprävention ein Verwertungsverbot bei Pflichtverstößen in Betracht kommt, wenn die Überwachungsmaßnahmen schwerwiegende Grundrechtsverletzungen darstellen.
Quellen:
Kühling/Buchner | BDSG § 26 - beck-online
DSK_Nr15_Videoüberwachung_Lizenzvermerk (datenschutzkonferenz-online.de)
Offene Videoüberwachung - Verwertungsverbot - Das Bundesarbeitsgericht